Im zweiten Leben zur Weltspitze

Sebastian Dietz in einer JKonzentrationsphase
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Im zwei­ten Leben zur Welt­spitze

Der Leichtathlet Sebastian Dietz hat bei Paralympischen Spielen zweimal Gold gewonnen. Wie ein Unfall sein Leben komplett veränderte und was er daraus gemacht hat.

Ein Freitagmorgen im Sportzentrum von Bad Oeynhausen. Auf einem Platz übt ein 1,83 Meter großer Mann immer wieder den gleichen Bewegungsablauf. Er steht im Grätschstand am hinteren Rand eines Wurfkreises und hält eine Eisenkugel in seiner Hand, er holt Schwung mit dem rechten Bein, dann dreht er sich geschmeidig und schnell um 180 Grad. Das Schwungbein wird zum Standbein und vor der Abwurfkante abgesetzt. In Bruchteilen einer Sekunde spannt sich sein gesamter Körper – vom Fuß bis zum rechten Arm. Der Körper richtet sich auf. Die vier Kilogramm schwere Kugel verlässt die Hand wie ein Geschoss. Sie fliegt im hohen Bogen in Richtung blauer Morgenhimmel.

Sebastian Dietz, 37, beobachtet den Flug der Kugel bis zur Landung. Er schüttelt den Kopf, sagt „Das war noch nix“ und stellt sich wieder an den Rand des Wurfkreises. Ein neuer Versuch. In der Regel sind es bis zu siebzig Stöße, die er täglich absolviert. Dietz strebt nach Perfektion. Er ist ein Spitzenathlet. Bei den Paralympics 2012 in London gewann er Gold im Diskuswerfen, bei den Paralympics 2016 Gold im Kugelstoßen. Die Siegesweite damals: 14,84 Meter. Sein persönlicher Rekord. Kurz zuvor hatte er im Training sogar 15,47 Meter gestoßen. Inoffizieller Weltrekord. „Der perfekte Stoß ist mir noch nie gelungen“, erzählt der zweifache Paralympische Sieger und dreifache Weltmeister, „aber dieser war nah dran. Perfekt im Timing, aber nicht erfolgreich, weil er inoffiziell war.“

Der Wille nach sportlicher Perfektion ist eine Triebfeder in seinem Leben, eine andere womöglich seine Behinderung. Wie alle anderen paralympischen Athleten ist auch Dietz körperlich behindert. Sein linkes Bein ist gelähmt aufgrund einer inkompletten Querschnittslähmung. Es ist die Folge eines schweren Autounfalls, der am 27. Februar 2004 passierte. Der Bürokaufmann Dietz war auf dem Weg zur Arbeit und verlor in einer Rechtskurve die Kontrolle über sein Auto und prallte frontal in den Gegenverkehr.

Als er am nächsten Morgen im Krankenhaus aufwachte, teilte ihm der Stationsarzt mit, dass er vom Hals abwärts gelähmt sei und nie wieder laufen könne. Die Diagnose: zweiter und sechster Wirbelkörper in der Halswirbelsäule gebrochen, ebenso Schulterblätter, Brustwirbel und Rippen, der Spinalkanal verengt, die Lungenflügel und der Schädel gequetscht. Der Sportler Dietz war schockiert. Mit neunzehn Jahren sollte sein bisheriges Leben, wie er es kannte, vorbei sein? Am Wochenende zuvor stand er noch im Tor beim VfL Neustadt. Er war auf dem besten Weg zum Fußballprofi – sein großer Traum. „Ich beschimpfte den Arzt, wollte in diesem Moment einfach nur aufgeben und mich aus dem Fenster stürzen“, erzählt Dietz.

Seine Mutter brach in Tränen aus, als sie das hörte. Sebastian Dietz reagierte sofort: „Mama, in drei Monaten laufe ich aus der Klinik. Und meine Tasche trage ich selbst!“ Bereits am nächsten Tag kam die Ernüchterung: „Ich konnte gar nichts. Ich musste sogar gefüttert werden.“ Dann startete Dietz mit dem Training – ganz langsam und mithilfe der Schwestern und Therapeuten. Es war ein zäher Kampf, aber der Schlüssel für das weitere Leben. Nach ein paar Wochen konnte Dietz erstmals wieder allein stehen – ein gigantisches Gefühl. Er kämpfte weiter und wurde nach elf Wochen aus der BG Unfallklinik Ludwigshafen entlassen – zur großen Überraschung der Ärzte. Doch kaum war er zu Hause, resignierte er wieder: „Ich hatte Bock auf nichts, guckte nicht einmal mehr die Sportschau. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte“, erzählt er. Die Fußballkarriere musste er aufgeben, seinen Beruf ebenfalls. Er war nun erwerbsunfähig.

Eines Abends zappte er doch im Fernsehen herum und blieb bei den Paralympischen Spielen in Athen hängen. Dietz war sofort begeistert, vor allem vom deutschen Athleten Wojtek Czyz, dem dreifachen Goldmedaillengewinner. Das bemerkte auch Dietz’ Mutter. Sie sagte beiläufig: „Die nächsten Paralympics finden 2008 in Peking statt. Vielleicht schaffst du es ja, daran teilzunehmen.“

Es war der zündende Gedanke. Der Impuls für das Comeback im Leben von Sebastian Dietz. Er schrieb Czyz einen Brief. Der antwortet sofort und stellte den Kontakt zu Lothar Hesse her, dem Leiter der Behindertensportabteilung vom TV Wattenscheid 01. Mit einem Freund fuhr Dietz am 28. Dezember 2004 nach Wattenscheid, um Czyz und Hesse zu treffen. Die schauten ihn an und sagten sofort: „Laufen, sprinten und springen wirst du nicht können, aber vielleicht werfen und stoßen.“

Das Comeback des Sebastian Dietz

So entdeckte Dietz die Faszination für das Kugelstoßen und Diskuswerfen und startete seine neue sportliche Karriere. „Es sind sehr komplexe Sportarten, die nicht nur aus Kraft, sondern auch aus viel Technik bestehen“, betont Dietz. „Wenn du beim Wettbewerb in den Ring gehst, musst du extrem fokussiert sein, um im richtigen Moment zu explodieren. Es ist immer eine große Herausforderung, die richtige Balance zu finden. Wenn du zu locker bist, fliegst du auf die Schnauze, wenn du zu angestrengt bist, auch.“

Dietz findet meistens die richtige Balance. Zwar nicht in Peking 2008, weil er sich da eine sportliche Auszeit genommen hatte. Dafür aber in London 2012. „Es war der emotionalste Moment meiner sportlichen Karriere, weil ich im Verlauf des Wettkampfs gemerkt habe, dass ich meinem Traum immer näher komme. Das hat mich schon nervös gemacht.“ Mit einer Weite von 38,54 Meter gewann er Gold im Diskuswurf. Ein Jahr später wurde er Weltmeister in derselben Disziplin mit einer Weite von 42,18 Metern – es war der erste Wurf eines Menschen mit Behinderung über eine Weite von 40 Metern.

Vier Jahre später wiederholte er in Rio de Janeiro seinen Erfolg von London – gewann wieder Gold, dieses Mal aber nicht mit dem Diskus, sondern mit der Kugel. Rio ist ihm noch aus einem anderen Grund in Erinnerung geblieben. Er hatte fünf Kinder aus einem Armenviertel in das Olympiastadion eingeladen, damit sie bei seinem Wettbewerb zuschauen konnten. Anschließend feierten sie gemeinsam seinen Sieg. „Das Leuchten der Kinderaugen ist mir bis heute haften geblieben.“

Es ist eine weitere Facette des Spitzensportlers Dietz. Er engagiert sich für behinderte und nichtbehinderte Kinder, um sie zu motivieren, Sport zu betreiben. Zum Beispiel als Botschafter von Schaki, einer Selbsthilfegruppe für Schlaganfallkinder, oder für die Jugendstiftung Movies. Warum er das tut? Seine Antwort: „Das ist doch meine Aufgabe als Spitzensportler. Ich will Vorbild sein und junge Menschen für den Sport begeistern, weil er wichtig ist, auch fürs gesellschaftliche Miteinander.“ Sebastian Dietz weiß: Das Leben bietet nicht nur Licht, sondern auch viel Schatten.

Aktuell hat er noch ein großes Ziel vor Augen: die Paralympics 2024 in Paris. „Da will ich noch mal so richtig einen raushauen. Das hat meine Familie verdient“, gesteht er. Denn 2019 war ein Seuchenjahr. Er war lange verletzt und landete bei der Weltmeisterschaft nur auf dem vierten Platz. Es war eine Niederlage, mit der er sich lange auseinandergesetzt hat. Seine Ehefrau Sophie, Freunde und Verwandte motivierten ihn weiterzumachen. Inzwischen hat er sich wieder an die Weltspitze gekämpft. Es war ein stilles, heimliches Comeback, als er bei den Paralympischen Spielen 2021 in Tokio Bronze gewann. Das hat ihm Mut gemacht. Vielleicht steht er in Paris wieder ganz oben auf dem Treppchen.

Momentan tut er alles dafür. Täglich ist er im Sportstudio seines Trainers Alexander Holstein. Dort übt er Froschsprünge und stemmt Gewichte. Kürzlich ist er sogar ins Trainingslager in die Türkei geflogen, um Kondition und Kraft aufzubauen. Und wie lenkt sich der Leistungssportler ab? Natürlich durch Sport. In seiner Freizeit trainiert Dietz den Fußball-Kreisligisten SC Enger, ein junges Team mit Aufstiegsambitionen. „Der Fußball ist und bleibt meine Leidenschaft.“ Dass der Unfall vor fast zwanzig Jahren und seine Behinderung eine mögliche Karriere als Profifußballer verhindert haben, darüber denkt Sebastian Dietz heute keine Sekunde mehr nach. „Warum sollte ich das tun? Mein zweites Leben ist doch sehr cool.“

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