Rundum-Schutz
Ob Tennislegende Steffi Graf, Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel oder der jüngst verstorbene Fußballstar Uwe Seeler, sie alle haben große Erfolge in ihren Disziplinen gefeiert.
Kein Wunder, dass sie für zahlreiche Menschen zu Idolen wurden. Rund fünfundachtzig Prozent der Deutschen empfinden den Leistungswillen deutscher Athleten als vorbildhaft. So lautet das Ergebnis einer Studie der Deutschen Sporthilfe und der Kölner Sporthochschule von 2017.
Warum ziehen uns ausgerechnet Spitzensportler so in ihren Bann? Das erklärt der Sportpsychologe Philippe Müller.
(c) Foto: Adrian Zwyssig
Generali: Herr Müller, Sie sind Dozent für Sportpsychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich. Wie erklären Sie den Studierenden, was ein Idol ist?
Philippe Müller: Stark vereinfacht würde ich sagen, dass Idole reale Personen oder auch fiktive Figuren sind, denen wir in einer bestimmten Phase unseres Lebens nacheifern. Wir bewundern dabei ihr Verhalten, ihre Fähigkeiten und Leistungen oder auch andere Merkmale wie zum Beispiel das Aussehen.
Generali: Wozu brauchen wir Idole überhaupt?
Philippe Müller: Idole helfen uns in bestimmten Lebensspannen, die eigene Identität zu entwickeln oder Verhaltensweisen zu erlernen. Diese haben oft einen Bezug zu den Aufgaben und Herausforderungen, um den Alltag zu meistern. Sie vermitteln uns dabei durch unser Beobachten und Nachahmen Muster und Lösungsstrategien. Wir können also sehr viel von unseren Idolen lernen, unabhängig davon, ob sie real oder irreal sind. Außerdem können Idole uns Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten oder mehr Sicherheit in ungewohnten Situationen geben.
Generali: Welche besondere Rolle spielen Idole im Sport?
Philippe Müller: Sie besitzen oft ausgeprägte und spezialisierte Fähigkeiten. So zum Beispiel die hervorragende Technik eines Fußballers. Man bewundert diese, versucht einen speziellen Trick nachzumachen und eifert den Idolen somit nach. Dies steigert die Motivation, die eigenen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Sie können ebenso dazu beitragen, dass bestimmte Ziele verfolgt werden.
Generali: Apropos Ziele verfolgen: Welchen positiven Effekt können Idole auf die eigene sportliche Leistung haben?
Philippe Müller: Die Begeisterung für bestimmte Fähigkeiten eines Idols kann als treibende Kraft wirken. Nach dem Motto „Wow, das möchte ich auch können!“. Es liefert somit ein Ziel, die eigenen Fähigkeiten auszubauen.
Generali: Was passiert, wenn es mir nicht gelingt, in die Fußstapfen meines Idols zu treten?
Philippe Müller: Die treibende Kraft kann in der Tat auch zum Risiko werden. Scheitere ich andauernd bei den Versuchen, es nachzumachen, geht die Lust daran verloren. Es kommen Gedanken auf: Ich bin zu schlecht. Das werde ich nie können. Also lasse ich es doch einfach ganz sein!
Generali: Wonach suchen wir uns Sport-Idole aus?
Philippe Müller: Das hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. So spielt vor allem das Alter, das Umfeld, die eigenen Interessen und auch die Zeit eine wichtige Rolle. Idole haben somit oft einen Bezug zu den Themen, die uns gerade beschäftigen, wie wir sein möchten oder was wir erreichen wollen.
Generali: Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Wahl eines Idols?
Philippe Müller: Natürlich haben Jungs und Männer öfter Idole aus Sportarten, die überwiegend von Männern praktiziert werden, und Mädchen und Frauen eher aus Frauen-geprägten Sportarten. Aber viel wichtiger bei der Wahl der Idole als die Stereotypisierung der Sportart ist das eigene Interesse. Zudem können wir gleichzeitig verschiedene Idole besitzen. Jemanden bewundern wir für eine bestimmte sportliche Leistung und jemand anderes für das faire Verhalten.
Generali: Sie haben in ihrem Artikel „Schlechte Vorbilder“ in Bezug auf das Verhältnis zwischen Kindern und ihren Idolen geschrieben: „Nicht selten kommt es vor, dass Verhaltensweisen wie Gestik und Mimik sowie Äußerlichkeiten wie Haarschnitt und Kleidung übernommen werden.“ Wie wichtig ist das äußere Erscheinungsbild für das Idol-Potenzial von Athleten?
Philippe Müller: Die Antwort auf diese Frage hängt eng mit der generellen Entwicklung der Medien und insbesondere dem wachsenden Einfluss von Social Media zusammen. In den letzten Jahren haben die Informationsdichte und vor allem das Sichtbarbleiben an Bedeutung zugenommen. Die großen Sport-Idole sind nicht nur noch Vorbilder für sportliche Leistungen, sondern auch zu wichtigen Werbeträgern avanciert. Dazu gehören Mode, Accessoires, Frisuren etc. Und diese lassen sich viel schneller und gezielter, vor allem durch Social Media, verbreiten. Das Erscheinungsbild von Sportlern, aber auch von Personen aus Musik und Film hat einen zunehmenden Einfluss auf die (Ausseh-)Ideale unserer Gesellschaft.
Generali: Wie prägen Idole unsere Persönlichkeit generell?
Philippe Müller: Da wir oft versuchen, das Verhalten unserer Idole als Schablone unserer eigenen Handlungen zu nutzen, haben Idole einen großen Einfluss auf unsere Persönlichkeitsentwicklung. Es sind dabei nicht nur Sport-Idole von Bedeutung, sondern auch unsere Eltern. Denn auch sie können in bestimmten Entwicklungsstadien unsere Idole sein und unsere Persönlichkeit prägen.
Generali: Werfen wir einen Blick auf die andere Seite: Was bedeutet es für Spitzensportler, ein Idol zu sein?
Philippe Müller: Ein Idol zu sein kann sowohl Stolz, aber auch enormen Druck auslösen. Eigene Werte können als Idol vorgelebt und somit verbreitet werden. Durch Zunahme des Bekanntheitsgrades steigen auch die Möglichkeiten, um eigene Botschaften zu transportieren. Aber auch die kritischen Augen mehren sich, die nur darauf warten, einen „Skandal“ aufzudecken. Der Druck, sich stets richtig zu verhalten und keine Angriffsflächen zu schaffen, steigt.
Generali: Zum Stichwort Angriffsfläche: Was passiert, wenn unser Idol sich „Fehltritte“ in der Öffentlichkeit erlaubt? Wann brechen wir mit unserem Idol und was dulden wir?
Philippe Müller: Es hängt stark davon ab, wofür unser Idol steht oder stehen soll. Ebenso spielt unsere persönliche Bewertung des „Fehltritts” eine wichtige Rolle. Stufen wir das Vorkommnis als einmaligen Ausrutscher ein, werden wir zwar das Verhalten nicht gutheißen, aber auch darüber hinwegsehen. Je mehr der „Fehltritt“ unseren eigenen Überzeugungen und Ansichten widerspricht, desto eher werden wir uns auch davon distanzieren.
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