Altertümliche Medizin

Als die Medizin in eine Revolution startete

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Gesund bleiben
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Vor 111 Jahren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, grassierten Seuchen und Krankheiten. Kanalisation gab es längst noch nicht überall. Im Jahr 1900 starb jedes fünfte Kind im ersten Lebensjahr. Gleichzeitig herrschten eine Aufbruchstimmung und ein Erfindergeist, die zu unglaublichen medizinischen Fortschritten führten. Medizinhistoriker Professor Heiner Fangerau erklärt die wichtigsten medizinischen Errungenschaften der vergangenen 111 Jahre. Und er ordnet die Rolle der Krankenversicherungen ein.

Medi­zi­ni­sche Revo­lu­tion begann im 19. Jahr­hun­dert

„Vor 120 Jahren gab es in Europa eine Technik-Euphorie. Der Eiffelturm wurde gebaut, die Straßen mit elektrischem Licht versehen, Automobile erfunden“, erzählt Heiner Fangerau. Er ist Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Düsseldorf. „In diesem Zeitgeist stand auch die Medizin. Ärzte sahen sich als eine Art Ingenieur für den Körper.“

Doch wie waren die medizinischen Errungenschaften der letzten 111 Jahre überhaupt möglich? Dafür müssen wir noch ein bisschen weiter zurückschauen, erklärt Fangerau. Nämlich in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals hatten Entwicklungen begonnen, auf welche die Wissenschaft später aufbauen konnte: Die Medizin orientierte sich an Naturwissenschaften. Sie verstand Biologie, Physik und Chemie als Grundlage von körperlichen Prozessen. „Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Bakteriologie, also die Idee, dass Krankheiten durch Keime übertragen werden und man diese nachweisen kann“, erklärt Fangerau. Dabei halfen technische Erfindungen, zum Beispiel:

  • Mikroskop: um 1600 erfunden, aber ab 1840 mit 500-facher Vergrößerung
  • Färbetechnik: 1882 gelang Robert Koch die Darstellung des Tuberkulose-Erreger.
  • Röntgen: 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen die Röntgenstrahlen.


Die Medizin verstand nun, dass Krankheiten nicht nur im Individuum entstehen, sondern auch durch Umwelteinflüsse.

Professor Fangerau

Professor Heiner Fangerau

Medizinhistoriker und Medizinethiker


Ferner hatte sich ein Bewusstsein für „öffentliche Gesundheit“ entwickelt. „Die Medizin verstand nun, dass Krankheiten nicht nur im Individuum entstehen, sondern auch durch Umwelteinflüsse.“ Als Beispiel nennt Fangerau die Cholera, eine hoch ansteckende Magen-Darm-Infektion. Diese wird durch Bakterien übertragen, vor allem aus verunreinigtem Trinkwasser. Die letzte große Epidemie in Deutschland gab es im Jahr 1892 in Hamburg. „Diese Bedrohung konnte man beseitigen, indem man die Kanalisation ausgebaut hat und Wasserfilter zum Einsatz kamen“, so Fangerau.

Damals wurden auch entscheidende Veränderungen in der medizinischen Versorgung eingeläutet. Die Krankenversicherungen entstanden. Anfang der 1880er Jahre ließ Reichskanzler Otto von Bismarck ein Gesetz zur Sozialversicherung erarbeiten. 1883 verabschiedete der Deutsche Reichstag das Gesetz. Es war die Geburtsstunde der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese galt anfangs nur für Arbeiter und bestimmte Regierungsangestellte. Lehrer, Geistliche und Beamte waren dort nicht versichert. Daher entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts auch immer mehr private Krankenversicherungen. So wie 1913 die Central Krankenversicherung AG, die heutige Generali Deutschland Krankenversicherung AG.

Ab den 1920er-Jah­ren immer mehr Imp­fun­gen

Diese Entwicklungen setzten sich im neuen Jahrhundert fort. „Nach dem Ersten Weltkrieg konnten sich dank der Sozialgesetzgebung der Weimarer Republik immer mehr Menschen krankenversichern und in den Genuss der Gesundheitsversorgung kommen“, sagt Heiner Fangerau. Damals wurde auch die Hygiene ausgebaut. Städte wurden saniert, sodass die Menschen unter besseren Bedingungen leben konnten. „Der Anfang des 20. Jahrhunderts stand im Zeichen der Bakteriologie: Die Forscher diagnostizieren viele Krankheiten und entwickelten Mittel dagegen.“

Als Wendepunkt bei der Behandlung von bakteriologischen Infektionen nennt der Experte das Penicillin. Alexander Fleming hatte es im Jahr 1928 in seinem Londoner Labor angeblich zufällig entdeckt: Als er aus dem Urlaub kam, fand er in einigen Petrischalen einen Schimmelpilz. Und um den herum wuchsen keine Bakterien mehr. Nach 14 Jahren weiterer Forschung kam 1942 das erste Penicillin auf den Markt. Es war das damals wirksamste Heilmittel gegen Krankheiten, die von Bakterien ausgelöst werden.

Schon davor hatten Forscher immer mehr Impfstoffe entwickelt: zum Beispiel gegen Tetanus (1890), Diphtherie (1894), Keuchhusten (1926) oder Gelbfieber (1937). In den 1960er Jahren kamen Impfungen gegen Kinderlähmung, Masern, Mumps und Röteln dazu.

Patienten mit Diabetes Typ 1 hatten nun bessere Überlebenschancen: 1921 isolierten zwei kanadische Wissenschaftler Insulin aus der Bauchspeicheldrüse eines Hundes. Damit legten sie den Grundstein für die Behandlung von Diabetes.

In der Diagnostik wurden gleichzeitig immer mehr technische Erfindungen entwickelt. Sie erschlossen Bereiche des Körpers, die der menschliche Sinn sonst nicht erkennt: etwa das EKG zur Messung von Herzströmen (1903), das EEG (1924) zur Messung von Hirnströmen oder das Elektronenmikroskop (1931).

Ab den 1950er-Jah­ren: große Erfolge in Chir­ur­gie und Gene­tik

„In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen vor allem zwei medizinische Bereiche im Fokus: Genetik und Chirurgie“, fasst Heiner Fangerau zusammen. Fortschritte in der Technik ermöglichten neuartige chirurgische Operationen: 1953 führte der US-Amerikaner John Gibbon erstmals eine Herz-OP durch, bei der eine Herz-Lungen-Maschine erfolgreich zum Einsatz kam. 45 Minuten lang hielt sie den Kreislauf eines Patienten außerhalb des Körpers aufrecht.

Im Jahr 1954 transplantierte ein Arzt aus Boston eine Niere. Der Patient konnte noch einige Jahre weiterleben. Das war auch deshalb möglich, weil der Spender ein eineiiger Zwilling war. Das erste Herz wurde 1967 transplantiert. Im großen Stil konnten Organe aber erst ab den 1970er Jahren transplantiert werden. Erst dann gab es Medikamente, durch die das Immunsystem ein Spenderorgan akzeptiert. Im Jahr 1953 nahm die genetische Forschung ihren Lauf. Molekularbiologen entschlüsselten die Doppelstrang-Struktur der DNA. 1969 gelang Wissenschaftlern die erste In-Vitro-Fertilisation. Das ist die Befruchtung einer menschlichen Eizelle in der Petrischale. 1978 kam in Großbritannien das erste, auf diese Weise entstandene Kind zur Welt. In den 1980er Jahren entwickelten Forscher dann die „Polymerase-Kettenreaktion“ (PCR). Mit dieser Methode kopieren sie die DNA eines Menschen. So kann man einen Patienten beispielsweise auf Erbkrankheiten untersuchen.

Zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts: das mensch­li­che Erb­gut ist ent­schlüs­selt

2000 gelang – genetisch gesehen – der ganz große Coup: Forscherinnen und Forscher verkündeten, das menschliche Erbgut entschlüsselt zu haben. „Die Erwartungen waren damals riesig, doch bisher sind die Effekte überschaubar“, sagt Heiner Fangerau. Als Meilenstein der jüngsten Vergangenheit sieht der Experte die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe während Corona.


Das Entstehen der Krankenversicherungen hat dafür gesorgt, dass mehr Menschen Medizin in Anspruch nehmen konnten.

Professor Fangerau

Professor Heiner Fangerau

Medizinhistoriker und Medizinethiker


Seit einer umfassenden Reform in den 1970er Jahren sind die gesetzliche und die private Krankenversicherung gleichberechtigt. „Das Entstehen der Krankenversicherungen im 20. Jahrhundert hat dafür gesorgt, dass mehr Menschen Medizin in Anspruch nehmen konnten“, erklärt Heiner Fangerau. „Und somit haben die Versicherungen dazu beigetragen, dass die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod sich ein kleines bisschen gebessert hat.“

Dass wir zum Arzt gehen können und abgesichert sind, das steht sogar in unserem Grundgesetz. „Die Bundesrepublik versteht sich als sozialer Bundesstaat und die Bürgerinnen und Bürger haben einen Fürsorgeanspruch gegen den Staat. Sie haben also das Recht, dass der Staat sich um ihre Gesundheit kümmert“, erklärt Heiner Fangerau. „Einen Teil dieser Aufgabe übernehmen die Krankenversicherungen.“

Professor Fangerau

Über Professor Heiner Fangerau

Prof. Heiner Fangerau ist ein deutscher Medizinhistoriker und Medizinethiker, der sich vor allem mit der Medizin des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt. In diesem Bereich untersucht er unterschiedliche Themen von der Ethik und Geschichte der Psychologie und Neurologie über Fragen des medizinischen Kinderschutzes bis hin zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von medizinischen Techniken. Viele seiner Ergebnisse sind nicht nur aus historischer Perspektive relevant, sondern auch im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft. Er ist Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Heinrich‐Heine‐Universität Düsseldorf.

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