Rundum-Schutz
Die Kletterhaken haben er und seine Freunde schon vor zehn Jahren in den Felsen gebohrt. Auf 1.800 Metern unterhalb des Gipfels des Wendelstein. Die Haken sehen aus wie neu – rostfreier Stahl. Friedi Kühne braucht vier Haken, diverse Schlaufen und etwa eine Stunde, um die Slackline mitsamt aller Sicherungsseile an der einen Seite festzugurten. Dann wirft er ein Seil hinunter, um es mit seiner Frau auf der anderen Seite an einem anderen Felsen zu montieren.
„Die Vorbereitung ist alles“, sagt er. Und er muss es wissen: Friedi Kühne ist einer der besten Slack- und Highliner der Welt. Egal welche Route er auf der Welt geht: Er will beim Aufbau der Strecken immer eingebunden sein. Dann fühlt er sich sicher. Die genauen Techniken aus Knoten, Haken und Ösen bei der Montage geben sich die Slackliner untereinander weiter – Anfänger lernen von den Profis.
Slacklinen ist auf jeden Fall im Trend. Ob oben in den Bergen oder in den Gärten und Parks zwischen zwei Bäumen. Das Prinzip ist simpel: Eine Slackline wird zwischen zwei Punkten aufgespannt. Das Balancieren ist dann schwieriger, als man zunächst denkt. Je nach Spannung der Leine bedarf es einiger Übung, um nach dem ersten Schritt überhaupt einen zweiten zu schaffen.
Friedi Kühne begann mit 19 Jahren während eines Campingurlaubs in Italien. Auch er brauchte zu Beginn „eine große Frustrationstoleranz“, wie er sagt. Auch am Ende des Urlaubs kam er noch nicht bis zum Ende der Slackline. Aber er hatte Feuer gefangen und wurde süchtig. Und bald schon merkte er, dass er mehr Ehrgeiz und mehr Konzentration besaß als andere – und als früherer Turner auch die körperlichen Voraussetzungen.
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„Übung bringt wahnsinnig viel beim Slacklinen“, sagt Friedi. Und so übte er und übte, die Routen wurden länger und höher, und er spürte keine Angst. Mit der Zeit wurde der heute 32-Jährige einer der besten Slack-, High- und Trickliner der Welt. Ein Turner und Künstler in der Höhe. In Schweden balancierte er 2.100 Meter über eine Slackline und stellte damit einen Weltrekord auf. In Moskau lief er in 350 Meter Höhe zwischen zwei Hochhäusern, auch das ein Weltrekord. Er lief schon „Free Solo“, wie das die Profis nennen, also ohne jede Sicherung. Auch da hält er einen Weltrekord, auf den er am meisten stolz ist: Als 27-Jähriger balancierte er in der südfranzösischen Verdonschlucht in 200 Meter Höhe über eine 110 Meter lange Slackline.
Nun steht er also oben am Wendelstein in seiner bayerischen Heimat, baut mit seiner Frau eine Slackline zwischen zwei Felsen auf.
Kurz vor dem Sonnenuntergang, als alles fest und sicher ist, macht er an der Seite des Felsens Yogaübungen. Dann schiebt er sich vom Anker am Rand auf die Slackline und stolziert über die Line. Gesichert ist er mit einem Seilstück an einem Ring, durch den beide Slacklines gehen, die Hauptleine und die Backup-Line. „Es geht im Leben immer um Balance“, sagt er. Sie sei das Wichtigste überhaupt im Leben. „Ich habe durch das Slacklinen viel über andere Dinge gelernt“, sagt Friedi, der an vier Tagen in der Woche als Lehrer Kinder in Englisch und Mathematik unterrichtet.
Auf dem schmalen wackligen Band zu balancieren, verlangt viel physische Koordination für das Gleichgewicht. Man versucht seinen Körper auf der Line zu halten oder nach einer Körperschwerpunktverlagerung den stabilen Zustand wiederherzustellen. Dazu benötigt es schnelle Reaktion. Die Ausgleichsbewegungen trainieren vor allem den Bandapparat im Sprung- und Kniegelenk. Allein Stehen und Gehen sind anstrengend und fordern die Muskulatur im ganzen Körper. Speziell die Tiefenmuskulatur in den Beinen und im Rumpf sind besonders, Knie- und Hüftgelenk werden permanent beansprucht, dazu die Muskeln an Armen, Schultern und im oberen Rücken. Was der Slackline-Pro Friedi Kühne allen Einsteigern rät:
Auch für Friedi gibt es noch Herausforderungen: Dann setzt er sich an den Anker an der einen Seite der Slackline, schließt die Augen und geht die Route im Kopf durch. Oder er blickt auf die Slackline und stellt sich vor, wie er selbst die Route entlanggeht. Das hilft zum Beispiel, wenn es in ungeahnte Höhen geht. Ein Patentrezept gegen Höhenangst hat er nicht.
„Ich kenne super Slackliner, die in der Höhe Angst bekommen“, erzählt er. Jeder müsse seine Grenze kennenlernen und dann aber auch akzeptieren. Friedi hat seine persönliche Grenze noch nicht erlebt. Bislang waren es eher logistische Probleme, die noch weitere und höhere Touren verhinderten. Denn bei aller Sehnsucht nach neuen Rekorden muss Friedi vor allem eines sein: auf alles vorbereitet.
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