Rundum-Schutz
Im Rugbysport gibt einen besonderen Kampfgeist. Spiel und Gegner werden immer geehrt und respektiert, indem man während der gesamten achtzig Minuten des Spiels sein Bestes gibt. Dieser Grundsatz gilt auch für die stärksten Mannschaften: Das Tempo auf dem Spielfeld zurückzunehmen oder nicht mehr zu versuchen, ein Tor zu erzielen, nur weil man weit vorn liegt, würde bedeuten, den Gegner nicht auf gleichem Niveau zu betrachten. Man spielt auf Augenhöhe: Das ist nicht nur äußerst nobel, diese Auffassung enthält auch den Kern von Fairplay: Sport mit hohem moralischen Anspruch, Selbstverpflichtung, Rücksicht und Empathie, Respekt nach allen Seiten.
Am Rugby ist für viele der Kampf attraktiv, das Körperliche, der Vollkontakt. Doch gibt es kaum eine Sportart, in der es bei aller Härte fairer zugeht. Ebru Yaral muss es wissen. Sie ist eine Hamburger Deern, wie sie sagt, sie spielte beim FC St. Pauli und ist heute Schiedsrichterin. „Das Spiel ist hart“, bestätigt die 42-Jährige. „Aber es gibt ganz klare Regeln. Und wenn man sich daran hält und gut trainiert ist, dann ist das kein Problem.“ Auch deshalb macht Rugbysport Spaß – weil er Halt gibt, Werte vermittelt. Rugby ist eine Schule des Lebens.
Regeln und eine gesittete Gestaltung des Spiels standen am Anfang des Rugbysports, der seinen Namen von einem Ort in der Mitte von England hat. Der Legende nach gab es einen Geburtsmoment, als im Jahr 1823 ein sechzehnjähriger Schüler und späterer Pastor im Getümmel eines Fußballmatchs den Ball auffing und über die Torauslinie trug, statt ihn mit dem Fuß zu schießen. Fußball war seit Jahrhunderten ein anarchisches Geholze mit einer unklaren Zahl von Spielern, einem Ball und zwei Toren. Der Spielball wurde getreten, geworfen, getragen – mitunter wurde der Gegner getroffen. Wer spielte, stellte eigene Regeln auf.
An der Schule von William Webb Ellis galt eine No-Hands-Regel. Indem er sie missachtete, demonstrierte er mit seinem Lauf auf das gegnerische Tor, wie man zivilisiert Ball spielen kann: Als Alternative zum wilden Bolzen brachte das Tragen und Werfen des Balls auf kürzere Distanzen die Idee von Stellungsspiel, Taktik und Disziplin mit sich: Die Aufgabe der Mitspieler ist es unwillkürlich, dem Ballführenden den Laufweg zum Tor freizuhalten und einen anderen für ein Zuspiel in Position zu bringen. Auch der Körpereinsatz muss sich ändern: Wer den Ball mit Händen und Armen umklammert und dabei rennt, kann seine Ellenbogen nicht mehr so gut zum Schlagen ausfahren.
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Rugby für die Elite der Gesellschaft, Fußball als Sport der Unterschicht, so einfach war es nicht. Denn sowohl Rugby wie Fußball wurden robust und recht zügellos gespielt. Der irische Schriftsteller Oscar Wilde fand dafür ein hellsichtiges Wortspiel: „Fußball ist eine Sportart für Gentlemen, die von Raufbolden gespielt wird. Rugby ist eine Sportart für Raufbolde, die von Gentlemen gespielt wird.“ Die Zivilisierung wurde 1846 eingeleitet, als die ersten Regeln von Rugby Football eingeführt wurden. Mit der Gründung der Football Association im Jahr 1863 setzten sich die Kicker-Begeisterten ab, 1871 war das Gründungsjahr der Rugby Football Union.
Fairness erfüllt sich für die Schiedsrichterin Ebru Yaral denn auch klar in regelkonformer Aktion, ist aber ebenso sehr in die Spieldynamik verlagert: „Es geht immer um die Continuity. Wir achten darauf, dass das Spiel im Fluss bleibt, attraktiv bleibt, schnell bleibt.“ Rugby ist physisch. Doch ob Tackling oder Gedränge, ob ein ballführender Spieler in seinem Lauf festgehalten wird oder die Mannschaften einander beim Scrum vom Ball wegschieben, immer wird die Fairness gewahrt. Einen Spieler zu Boden werfen, ist erlaubt, höher als bis zur Schulter zu tackeln oder ihn über den Kopf zu werfen, gilt als klares Foul.
Jan Peter Sonntag, 35, ist der Spielermanager der 1. Herren beim FC St. Pauli. Seit Team führt die zweite Bundesliga an, ein wichtiges Spiel gegen den zweitplatzierten Club aus Hannover-Linden steht bevor. Was ist Rugby für ihn? Jan Peter Sonntag überlegt nicht lang: „Einmal die Kraft, einmal die Aggressivität, aber auch Fairness. Respekt vor dem Gegner hat eine ganz eigene Kultur, die man sonst nirgendwo findet. Wenn man als Rugbyspieler irgendwo anders hinkommt und andere Rugbyspieler trifft, dann ist man sofort per Du, kumpelig, trinkt ein Bier zusammen in der Kneipe, das ist eine ganz eigene Welt. Rugby ist eine große Familie.“
Das sieht Co-Captain Niklas Putzke, 26, genauso, er kam früh durch seinen Vater zum Rugby. „Respekt war von Anfang an Teil des Ganzen. Das ist ein Teil von der Kultur, dass der Schiedsrichter quasi unantastbar ist.“
Der Kapitän von St. Paulis 1. Herren heißt Luca Nelles, er ist 22 Jahre alt und ergänzt: „Der Kern vom Rugby ist ein faires Spiel. Das kann man auch nicht mit anderen Sportarten vergleichen. Die Fairness gegenüber der anderen Mannschaft oder zum Schiedsrichter oder Teamkollegen, das ist einfach etwas ganz anderes, etwas Besonderes. Und egal wie hart der Sport ist, es gibt immer ein Happy Ending.“
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